Ukraine stoppt die Lieferung von Rüstungsgütern nach Russland

Oberst a.d. Ralf Rudolph und Dr.Uwe Markus Berlin 01. September 2014

 

Am 12. August 2014 hat das ukrainische Parlament das Gesetz über Sanktionen gegen Russland mit 244 Stimmen angenommen (notwendig waren 226 Stimmen). Von diesem Gesetz sind 65 russische Firmen und 172 Einzelpersonen betroffen. Darunter fallen auch alle Lieferungen auf dem Gebiet der Rüstung. Obwohl bereits der ukrainische Sicherheits- und Verteidigungsrat im Juli der ukrainischen Industrie untersagt hatte, militärische Zulieferungen an Russland zu tätigen, verkündete Regierungschef Arsenji Jazenjuk am 12. August nochmals, dass der Zulieferungsstop die Modernisierungspläne der russischen Armee verhindern solle. Nun ist sicher unstrittig, dass diese Entscheidung die russische Verteidigungsindustrie vor erheb-liche Herausforderungen stellen wird, doch die ukrainische Regierung richtet damit zugleich erheblichen Schaden in der eigenen Wirtschaft an. Denn die wechselseitigen Verflechtungen sind traditionell sehr eng – ein Ergebnis der Arbeitsteilung in der UdSSR.

Mehr als 70 Prozent der Zulieferteile für die ukrainische Rüstungsindustrie kommen aus Russland. 50 bis 60 Prozent der ukrainischen Waffenexporte gehen dorthin zurück. Die Einstellung der Kooperation mit Russland auf dem Gebiet der Wehrtechnik könnte zum Totengräber der ukrainischen Rüstungsindustrie werden.

Nicht ganz schmerzlos wird die Einstellung der Zusammenarbeit aber auch für Russland sein. 3000 verschiedene Zulieferungen von 160 ukrainischen Betrieben werden in Russland in ca. 200 Typen von Militärtechnik bei der Produktion oder Nutzung verwendet. Erste Berechnungen der russischen Rüstungsindustrie zeigen, dass etwa 50 Milliarden Rubel erforderlich sein werden, um die 3000 Baugruppen und Erzeugnisse zu ersetzen. Entsprechend dem Auftrag von Präsident Putin sollen diese Produkte in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren durch eigene Erzeugnisse ersetzt werden. Auch eine verstärkte Kooperation mit China ist dabei möglich. Der Finanzplan Russlands wurde vor diesem Hintergrund für die Jahre 2014, 2015 und 2016 korrigiert. Wenn die geplanten Produktsubstitutionen realisiert werden, ist die Ukraine dauerhaft als Lieferant für Russland uninteressant. Das heißt, dass der russische Markt auch nach einem Ende der Konfrontation für ukrainische Rüstungsgüter verschlossen bleiben wird, was in den betroffenen Unternehmen und der ukrainischen Wirtschaft insgesamt erhebliche Verwerfungen auslösen wird.

Das gilt analog für europäische und US-amerikanische Rüstungsunternehmen, die auf Geheiß ihrer Regierungen nicht mehr nach Russland liefern dürfen. Diesen Firmen gehen dauerhaft Marktanteile und Umsätze verloren, die nie wieder gewonnen werden können.

Russland wird die Sanktionen zum Anlass für die massive Stärkung der eigenen Industrie und die Nutzung eigener Erzeugnisse nehmen, um Abhängigkeiten von Importen dauerhaft zu verringern. Damit hat das Land Erfahrungen. Schon geht bei ausländischen Unternehmen, die in Russland präsent sind, die Angst um. Die der-zeitige politische Krise ist bereits jetzt hochgradig geschäftsschädigend und dürfte nicht unerhebliche Langzeitfolgen zeitigen. So ist die „Vereinigung Europäischer Unternehmen“, die ca. 600 internationale, in Russland tätige Firmen repräsentiert, besorgt über die Pläne Russlands zur Stärkung der eigenen Industrie. Vor allem im Flugzeug- und Schiffbau sowie in der Automobilindustrie könnten die negativen Auswirkungen für westliche Unternehmen gravierend sein.

Russland kündigte an, dass seinerseits weitere Reaktionen in Frage kommen, wenn die EU und die USA ihre Sanktionen verschärfen. Auf der russischen Liste stehen neben dem Verbot des Überfluges aller Flugzeuge der EU und der USA über Russland Restriktionen im Flugzeug-, Schiff- und Automobilbau - insbesondere Einfuhreinschränkungen für Autos aller Art aus Ländern, die sich Russland gegen-über unfreundlich verhalten. Und vor allem letztere Maßnahme dürfte voll auf die europäischen Volkswirtschaften durchschlagen. In der ersten Jahreshälfte 2014 importierte Russland z. B. allein aus der EU 27 Prozent der PKW, 46 Prozent der LKW und 13 Prozent aller Busse. Russische Gegenmaßnahmen auf dem Automobilmarkt würden zudem nicht nur die Hersteller, sondern auch ihre Zulieferer und mittelfristig den Maschinenbau treffen. Und Russland könnte der EU weitere Unannehmlichkeiten bereiten – etwa im Bereich Raumfahrt. Das im Aufbau befind-liche europäische Navigationssystem Galileo ist auf die Transportleistungen russischer Sojus-Trägerraketen angewiesen und auch die internationale Weltraumstation ISS wäre ohne die Zusammenarbeit mit Russland kaum zu versorgen.

Russland stellt sich erkennbar auf eine neue politische Eiszeit ein und versucht seine materiellen und personellen Ressourcen zu sichern. Die russische Regierung ist unter anderem bereit, qualifizierte Fachkräfte aus der ukrainischen Rüstungsindustrie mit ihren Familien in Russland anzusiedeln. So könnte unverzichtbares Know How gesichert werden. Zugleich wäre das ein nicht zu ersetzender personeller Aderlass für die ukrainische Wirtschaft.

Angesichts dieser Situation ist es nicht verwunderlich, dass ukrainische Betriebe alles versuchen, um das Verbot ihrer Regierung zu umgehen. So wird die Produktion etwa nach Weißrussland verlagert oder die Rüstungsgüter werden als auch für den zivilen Gebrauch geeignet deklariert. Man will sich das Geschäft nicht entgehen lassen.

Eines der Hauptprobleme für Russland ist die Zulieferung von Triebwerken und Gasturbinen aus der Ukraine. Hauptlieferant ist das ukrainische Unternehmen „Motorsitsch“ in Dnepropetrowsk. Es fertigt vorrangig Triebwerke für die militärische Hubschrauberproduktion in Kasan und Gasturbinen für den militärischen Schiffbau in St. Petersburg. Es gib zwar in St. Petersburg das Unternehmen „Klimow“, das 50 bis 60 Stück dieser Triebwerke im Jahr herstellen kann, benötigt werden jedoch 300 bis 500 jährlich. Die Gasturbinen werden vorrangig für die neuen Fregatten des Projektes 22350 für die Schwarzmeerflotte benötigt. Einen Ersatz für die nun ausgefallenen ukrainischen Produktionskapazitäten zu finden, dürfte schwierig werden.

Bei den Triebwerken handelt es sich um die Typen TB 3-117 und BK-2500 für 95 Prozent der Hubschraubermodelle Mi-8, Mi-17, die Kampfhubschrauber Mi-24 und Mi-28 und ab 2017 auch für den neuen Transporthubschrauber Mi-38. Das Triebwerk D-136 wird für die neuen Hubschrauber Mi-26 und viele Hubschrauber des russischen Produzenten Kamow (z.B. Ka-52) produziert. Der Ka-52 soll auch auf den in Frankreich gebauten Hubschrauberträgern der „Mistral“-Klasse zum Einsatz kommen. Und das Triebwerk AJ-222-25 wird für das militärische Trainings-Kampfflugzeug Jak-130 verwendet, das z. B. nach Syrien exportiert wird. Die Triebwerke des Typs D-436 werden in die Transportflugzeuge An-148 und Be-200 eingebaut und das Triebwerk D-18T benötigt Russland für das Flugzeug An-124 „Russlan“.

Zumeist gibt es in der Triebwerksfertigung Verträge über die Begleitung und Kontrolle der Produktion in der Ukraine durch russische Spezialisten, weil das Produktions-recht dafür bei Russland liegt und die Aggregate dort auch entwickelt wurden. Damit entgehen der ukrainischen Industrie durch die Sanktionen nicht nur Lieferaufträge, sondern auch Produktionslizenzen und Know How.

Für die Produktion des Panzers T-90S in Russland werden 20 Bauteile aus der Ukraine bezogen. Die russische Industrie ist durchaus in der Lage diese zu ersetzen, das kostet jedoch Zeit und Geld. Auch der Moskauer Maschinenbaubetrieb, der den neuen Panzerabwehr-Lenkraketenkomplex „Christiania“ produziert, hat die bestellten Zulieferungen aus der Ukraine nicht mehr erhalten, obwohl er bereits 80 Prozent Vorkasse bezahlt hat. Der ukrainische Zulieferer „Fotogeräte“ in Tscherkask baut die Zieleinrichtung für das System. Russland prüft zur Zeit, ob eigene Betriebe für die Produktion dieser Baugruppen in Frage kämen.

Die russische Armee hat immer noch eine große Anzahl älterer, noch in der Sowjetzeit hergestellter Interkontinentalraketen in ihrer Bewaffnung. So etwa die Raketen des Typs SS-18 „Satan“ mit 10 lenkbaren Atomsprengköpfen und einer Reichweite von 11.000 km und die SS-19 „Stilett“. Diese Raketen und auch Bauteile dafür wurden und werden in der Ukraine produziert. Das Konstruktionsbüro „Chartron“ in Charkow ist heute noch der größte Hersteller von Steuer- und Lenksystemen für russische Interkontinentalraketen. Zu den Herstellern und Entwicklern von militärischen Raketen gehören außerdem die ukrainischen Firmen „Juschni“ in Dnepro-petrowsk, und „Elektropribor“ in Charkow. Der größte ukrainische Raketenproduzent ist die Firma „Juschni“ in Dnepropetrowsk. Dieser Betrieb verliert durch die Sanktionen ca. 500 Millionen US-Dollar jährlich. Doch für Russland entsteht dadurch nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch militärpolitischer Schaden: Ein Teil der russischen Raketen aus der Sowjetzeit wird von Spezialisten aus den ukrainischen Unternehmen in Russland überprüft, betreut, instandgesetzt und mit Ersatzteilen versorgt. Hinzu kommt, dass sich alle Unterlagen über die Konstruktion auch der Steuer- und Lenksysteme dieser russischen Interkontinentalraketen in den ukra-inischen Betrieben befinden. Eine Einsichtnahme der USA-Militärs in diese Unter-lagen könnte die russische atomare Abschreckung äußerst gefährden.

Bisher war das ukrainische Unternehmen „Juschni“ in Dnepropetrowsk auch an der Produktion der neuesten russischen Interkontinentalraketen „Topol-1“ sowie an der Fertigung von Komponenten für die Interkontinentalraketen SS-20 „Wojewoda“ und die RS-18 „Grau“, beteiligt. Jetzt werden die Zulieferungen aus Russland selbst erfolgen, was etwa 1000 Arbeitsplätze in der Ukraine kostet.

Auch die in der Ukraine produzierte eisenbahngestützte Interkontinentalrakete SS-24 „Skalpel“ wird nunmehr durch die Produktion derselben in Moskauer Institut für Wärmetechnik abgelöst.

Für die Projekte des russischen Kosmosprogramms wie „Energia“, Dnepr“ und „Strela“ werden die Steuer-, Lenk- und Navigationssysteme bei „Chartron“ in Charkow gebaut. Im Werk „Juschni“ werden schon seit 1985 die Trägerraketen für das Kosmosprogramm „Zenit“, deren Start vorrangig von der Sea-Launch-Plattform im Stillen Ozean erfolgt, gefertigt. Die Raketenmotoren dazu werden jedoch von Russland geliefert. Um nicht ganz das Gesicht zu verlieren, sind im Embargobeschluss Poroschenkos vom 27.08.2014 Exporte von Geräten zur Erforschung des Weltalls und für internationale Raumfahrtprojekte von den Sanktionen ausgenommen.

„Juschni“ war auch an der Produktion des Fla-Raketenkomplexes S-300 beteiligt. Am Folgemodell S-400 wird die Ukraine keinen Produktionsanteil mehr haben. In Russland werden zur Zeit zwei Betriebe nachgerüstet, die das System S-400 produ-zieren sollen.

Auch die Herstellung der bislang im Staatsbetrieb „Artjoni“ in Kiew produzierten Luft-Luft-Rakete R-77 für russische Kampfjets wird nach Russland verlagert.

Russland hat die militärische Modifikation des Flugzeuges An-140 in der Ukraine gekauft und war an der Produktion mit vielen Zulieferungen beteiligt. Doch die Zusammenarbeit am neuen Militärtransportflugzeug An-70 wurde eingestellt. Die Ukraine braucht mindestens vier Milliarden US-Dollar, um eine Eigenproduktion der An-140 zu beginnen. Hinzu kommt, dass der russische Auftrag für die An-70 der Ukraine mindestens 5 Milliarden US-Dollar eingebracht hätte. Aber ohne technische Hilfe aus Russland kann die Ukraine das Projekt nicht selbstständig umsetzen.

Die Kooperation zum Bau des größten Transportflugzeuges der Welt der, An-124 „Ruslan“, wurde ebenfalls eingestellt. Die Zusammenarbeit war bereits mit Beendigung der Produktion im Jahre 2004 schon einmal eingestellt worden. Bis dahin wurden 56 Exemplare gebaut, wovon 49 heute noch im Einsatz sind. Unter dem ukrainischen Präsidenten Janukowitsch wurde die Zusammenarbeit wieder aufgenommen und an einer modernisierten Version mit 30 Tonnen zusätzlicher Nutzlast und größerer Reichweite gearbeitet. Auch die Triebwerke D-18 sollten modernisiert werden. Obwohl „Antonow“ seit der Auflösung der UdSSR eine ukrainische Firma ist, hält Russland die Rechte am Flugzeug „Ruslan“. Die neue An 124-100 sollte daher in Uljanowsk in Russland produziert werden. Im Juli 2013 hatten sich die Ministerpräsidenten beider Länder geeinigt, ein gemeinsames staatliches Unternehmen „Awiastar-SP“ zu gründen. Das Flugzeug sollte ab 2018 in Serie gehen. Eine Einstellung der Zusammenarbeit und der Lieferungen auf dem Gebiet des Flugzeugbaus wird allein bei „Antonow“ 13.300 Beschäftigte betreffen und Hunderte Millionen US-Dollar Verlust bescheren. Für die ukrainische Regierung wird damit einer der größten Steuerzahler des Landes ausfallen.

Fast 20 Prozent des Uranerzes für Russland werden in der Ukraine in Scholtyje Wody (Gelbes Wasser) im Gebiet Dnepropetrowsk abgebaut. Ein anderer Abnehmer für dieses Erz dürfte in Europa für die Ukraine schwer zu finden sein.

Auf jeden Fall ist die Beendigung der Handelsbeziehungen und der Fertigungs-Kooperation zwischen der Ukraine und Russland auf dem Gebiet der Rüstung für Russland ein viel größeres Problem als die Sanktionen des Westens.

Russische Experten zweifeln an der Umsetzbarkeit der Vorstellungen ihres Präsidenten, dass innerhalb von zwei bis drei Jahren die russische Rüstungsindustrie unabhängig zu machen ist. Vor allem die Hightech-Produkte sind die Achillesferse der russischen Rüstungsproduktion. Die Mikroelektronikbranche benötigt längere Zeit, um auf das erforderliche Niveau zu kommen. Und viele Anlagen für die russische Rüstungsproduktion wurden in der letzten Zeit durch Importe aus dem Westen erneuert. So sind z.B. die meisten Maschinen des Raketenproduzenten „Wotkin“ in der Teilrepublik Udmurtien aus Tschechien; Frankreich; der Schweiz und den USA importiert worden. Entsprechend den Vorgaben sollten auch viele weitere Rüstungsbetriebe mit hochproduktiven, programmgesteuerten Werkzeugmaschinen ausgestattet werden. Diese Lieferungen aus dem Westen fehlen nun. Zumindest im Elektronik-Bereich wird man wohl den technologischen Vorsprung der Chinesen nutzen wollen. Und bei den Werkzeugmaschinen gibt es – anders als während des Technologie-Embargos in der Zeit des Kalten Krieges – etliche Möglichkeiten, die westlichen Sanktionen zu unterlaufen. Auch darin hat man in Russland Übung. Zudem wurden der Generalstab der russischen Armee und die Rüstungsindustrie beauftragt, ein entsprechendes Modernisierungsprogramm – unter Einbeziehung auch der 23 Rüstungsunternehmen auf der Krim – zu erarbeiten.

Auf jeden Fall wird Russland trotz aller aktuellen Probleme bei der Ablösung der Importe von Rüstungsgütern aus der Krise gestärkt hervorgehen. Aber die Ukraine muss durch ihr Embargo mit dem dauerhaften Verlust von 10 bis 12 Milliarden US-Dollar jährlich rechnen. Es ist ein weiterer Beitrag der an die Macht geputschten ukrainischen Regierung zum wirtschaftlichen Untergang der Ukraine. Die Zeche für die Eitelkeit und Engstirnigkeit seiner Regierung zahlt das ukrainische Volk.

 

Weitere Hintergründe am 06.September 2014 zum "Tag der Begegnung" im Museum Garzau

 

von Internetredaktion (Kommentare: 0)

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